Einsam wie ein Satellit

»Sleeping satellite« von Tasmin Archer bringt exakt mein Wollemie-Gefühl auf den Punkt . Ein Satellit im All, abgeschaltet, ohne Kontakt zur Erde, zum ewigen Schlafen verdammt. Tot, aber nicht tot. Weg, aber nicht weg. Verloren, aber immer zu sehen.

Die Wollemie ist ein Nadelbaum aus der Familie der Auraukariengewächse und in versteinerter Form sehr verbreitet. Lange Zeit dachte man, dass die Wollemie vor 200 Millionen Jahren lebte und heute ausgestorben ist. Bis in einem abgelegenen Seitental etwa eineinhalb Stunden von Sidney völlig überraschend ein Bestand an lebenden Wollemien gefunden wurde. Die Sensation war perfekt, denn die Pflanze ist nicht nur ein lebendes Fossil, sondern auch im Wuchs sehr markant und eigenwillig. Das Laub ist hart und zäh wie bei allen Pflanzen, die mit den pflanzenfressenden Dinosauriern entstanden sind. Der Baum bildet einen Stamm aus, blüht aber nur an den Zweigspitzen. Das verlieht dem Baum etwas christbaumartiges und sieht ehrlich gesagt etwas ulkig dekoriert aus.

Die Wollemien haben die letzten Jahrmillionen in diesem einen Tal überlebt. Sie haben geblüht, Zapfen angesetzt und kleine Sämlinge produziert. Genetisch sind sie alle sehr nah verwandt, sodass der Verdacht naheliegt, dass die jetzt lebenden Bäume von nur einem oder zwei direkten Vorfahren abstammen. Niemand hat sie gesehen, niemand beachtet und keiner hat nach ihnen gesucht. Sie waren tot, aber nicht tot, weg, aber nicht weg. Verloren, aber jetzt wieder zu sehen.

Mittlerweile ist ein richtiger Run auf diese Urzeitzeugen im Gange. Der Ort, wo sie in freier Wildbahn wachsen, wird geheim gehalten, so gut es geht. Es sollen möglichst wenig Touristen dorthin kommen, um eine Verschleppung von Pilzen zu unterbinden. Bereits jetzt sind einige der wilden Wollemien von einem Pilz befallen, der Bestand ist bedroht. Zur Sicherheit wurden natürlich längst Samen und Sämlinge in die ganze Welt exportiert, ein Exemplar ging nach Paris und ist auf dem Foto oben zu sehen. Es ist ungefähr 20 Jahre alt und sieht sehr gesund aus. Für die Verwendung im Garten ist die Wollemie noch nicht genau einzuschätzen. Offenbar ist sie in Deutschland nicht voll winterhart, sondern braucht etwas Schutz vor Frost. Als Gartenpflanze wird sie sicher eine Zukunft haben, alleine, weil sie selten ist und auffällig wächst. Wenn die Vermehrung gesichert ist, wird sie sicher ein ähnlicher Gartenstar wie die Araukarie.

Die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß, dass über einen so langen Zeitraum hinweg ein winziger Restbestand einer langsam wachsenden Pflanzenart besteht, während der Rest der Welt in einer geologischen Sekunde regelrecht von der baggernden, essenden und rodenden Menschheit überrannt wird. Es gibt keine weißen Flecken mehr im Atlas, Satelliten haben jeden Fleck im Blick. In Echtzeit. Um so größer ist der Kontrast zwischen der vollen, wuseligen Erde mit der Geschäftigkeit der Menschen und den einsamen letzten Wollemien in ihrem Tal mitten in der Wüste Australiens, in dem noch nie eine Uhr getickt hat. Ob die Wollemien ein Gespür dafür haben, dass sie die letzten sind? Wohl kaum. Sie dürften sich genau so fühlen wie der Grashalm auf der Wiese, wenn sie denn überhaupt etwas fühlen.

Die Wollemien gibt es immer noch, für unsere Wahrnehmung ist das aber eher ein »jetzt wieder«. Wir dachten ja, sie wären ausgestorben. Das ist so, als wenn ein ausrangierter Satellit, der als kalter Klumpen Weltraumschrott um die Erde kreist und vergessen wurde, auf einmal wieder Signale funkt. Ein gutes Signal.

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