Die einen sehen eine Wiese, ich sehe Schlachtpläne

Pflanzen werden gerne als Bild genommen, um Frieden und Idylle darzustellen. Die friedlich gereichte Nelke im Gewehrlauf oder die Blumenkränze auf Hawaii sind absolut unmissverständlich friedliche Signale. Allerdings kann man Pflanzen auch anders sehen, etwa als Lebewesen, die mit ihren eigenen Mitteln um Licht, Boden und Nährstoffe kämpfen. Wer Aufnahmen von Pflanzen im Zeitraffer anschaut, sieht, wie Triebe nach Licht suchen und hin und her schwanken, wie sie ein Blatt über das einer anderen Pflanze schieben oder wie sie mit allen Mitteln ein aggressives Höhenwachstum hinlegen, nur um andere Pflanzen zu überragen und Zugang zum Licht zu bekommen. Bei diesem Wettkampf geht es nicht um Schönheit und Anmut, sondern um Leben und Tod. Die Pflanze, die nicht zum Licht kommt, wird verhungern.

In tropischen Gegenden gibt es Würgefeigen (z.B. Ficus benghalensis), die auf Bäumen wachsen und diese Bäume langsam aber sicher überwuchern. Die Würgefeige spart sich die Energie, einen großen Stamm auszubilden und übernimmt einfach den Stamm eines anderen Baumes. Das ist ein Raubmord, der aber in der Superzeitlupe unserer Wahrnehmung wie eine Dschungelidylle aussieht.

Man muss aber gar nicht so weit gehen, um Gewalt unter Pflanzen zu finden. Auf fast jeder Wiese wächst der hier heimische Kriechende Hahnenfuß (Ranunculus repens) und sorgt im Frühjahr und Sommer für viele schöne gelbe Blüten. Beim Jäten fällt mir immer wieder auf, dass die Pflanze wirklich zu kriechen scheint, das heißt sie schiebt jede Menge Ableger in die Gegend und „wandert“ scheinbar die Wiese. Besonders bemerkenswert ist ein Phänomen, dass in Staudenbeeten oft zu beobachten ist. Kommt Hahnenfuß durch irgendeine Ritze neu ins Beet, könnte er überall in den Freiräumen zwischen den Stauden wachsen. Dort, wo der Wurzeldruck nicht so hoch ist und keine höheren Pflanzen das Licht versperren. Der Hahnenfuß macht es anders. Immer wieder finde ich beim Jäten einen Hahnenfuß, der mitten in einer Segge oder in einer Schafgarbe sitzt. Er kriecht mitten in eine Pflanze hinein und wächst dort zwar geschützt von zahlreichen Stängeln anderer Pflanzen heran, muss aber einen enormen Druck oberhalb und unterhalb der Erde aushalten. Ich habe mich immer gefragt, ob das dichte Gedränge nicht ein Nachteil ist für die kleine Pflanze. Bis ich die Taktik dahinter durchschaut habe.

Der Hahnenfuß nimmt andere Pflanzen als Zwischenlager ein. Er wächst mitten in einer größeren Pflanze und genießt dort Schutz vor Fressfeinden und vor wühlenden Hufen. Die größere Pflanze nimmt keinen ernsthaften Schaden, aber der Hahnenfuß hat einen enormen Vorteil: Er kann von diesem Zwischenlager aus immer wieder die Umgebung besiedeln, sobald sich dort Licht oder Boden zeigen. Fällt eine Tochterpflanze des Hahnenfuß einem Maul zum Opfer, ist der Schaden nicht groß, weil von dem Zwischenlager aus schnell ein Ersatz geschickt werden kann. Er nimmt den enormen Druck in Kauf, mitten in einem anderen Horst zu wachsen, um von dort aus ein geschütztes Depot für die Umgebung zu haben. So genial wie brutal.