Der ordentliche Garten

Gärten sind immer ein Ebenbild der Menschen, die ihn machen. Dieter Wieland vom Bayrischen Rundfunk arbeitet sich seit Jahrzehnten daran ab, dass die Deutschen ihre Häuser und Gärten witterungsfrei, abwaschbar und UV-stabil haben wollen. Ein Garten ist ein Stück Fläche, das mit preußischem Ethos zu einer besseren Fläche werden soll, einer reinen und ordentlichen Fläche. Kratzen, Stechen, Flämmen, Salzen, Spritzen – alles ist erlaubt, um die Unordnung zu vernichten. Die Nachbarn geben ihnen Recht, sie machen es genau so. Für den Naturschutz wird in die nektarlose und insektenfreie Forsythie ein Meisenknödel gehängt und sogar das leere Netz in den Plastikmüll entsorgt. Der Boden ist frei und sauber, der Grünspan muss sich woanders umschauen. Genau wie die Schmetterlinge, die sind auch in anderen Gärten. 

Wo war der Übergang vom Bauerngarten, der ordentlich genug für Gemüse, aber lässig genug für Insekten war, zu den überpflegten, saftlosen Grundstücken, die zu allen Jahreszeiten gleich aussehen? Wann wurde die Idee geboren, dass man alles kontrollieren kann? Wann ist dieser Kontrolldrang außer Kontrolle geraten? Wo ist das Wissen verloren gegangen, dass alles miteinander zusammenhängt und man den Kampf gegen Blattläuse einfach nicht gewinnen kann, wenn man nur die Läuse sieht? Wann ist der Gartenboden von Erde zu Dreck geworden? Und warum ist es so schwer, das alles wieder rückgängig zu machen?

Wann ist der Gartenboden von Erde zu Dreck geworden?

Ist das Wissen um die Gärten im Kriegsschutt begraben worden, um Platz zu machen für eine unstillbare Sucht nach Reinlichkeit und Ordnung? Vom Schwein aß man nur noch das saubere Fleisch, nicht mehr die Kutteln Ohren. Von den Pflanzen wollte man nur noch die Blüten, nicht mehr den lästigen Rest. Die Züchter haben diese Sucht bedient. Blüten wurden größer, Duft war egal. Aus Staubblättern, dem – oh mein Gott – Sperma der Pflanzen, wurden asexuelle Blütenblätter in zartrosa mit Rüschen. Die schweren Blüten brauchten kräftigere Stängel und mehr Dünger. Gleichzeitig wurde die Pflanze schwächer und anfälliger, weil sie nur noch Blüten produzierte. Die Gärten hatten große, reinliche Blüten, befreit vom Pflanzensex, in einem Beet, das viel Dünger, Gift und Stützen braucht. Das System Garten ist tot, es ist zu einer Vitrine geworden, in der wöchentlich der Staub entfernt wird. Der Dreck ist unter Kontrolle. 

Diese bürgerliche Kontrolle hatte Halbwertszeiten. In den Unis, in der Musik, den Theatern, dann in weiten Teilen der Gesellschaft fielen nach und nach die strengen Schnürmieder. In vielen Bereichen wurde es beweglicher mit den Jahrzehnten, man gewöhnte sich an Hausmänner, autofahrende Frauen, sehr kurze Röcke und Selfies. Nur in den Gärten konnte sich ein Biedermeier halten, der sie zu einer absurden, teilweise komischen Darstellungsfläche der eigenen Reinlichkeit macht. Aus den Skulpturen mit denen der Adel seine klassische Bildung zeigen konnte, wurden Gartenzwerge aus glasiertem Steinzeug. Aus einem Gartenzwerg wurden Gruppen, Klassen, ja ganze Schulen. Sie sollten davon ablenken, dass diese ganze Reinlichkeit im Garten ein heftiger persönlicher Zwang ist.

Die Zwerge sollten so tun, als ob das alles von selbst so geschehe, als ob sie über Nacht den Grünspan wegkärchern und die Eibenhecke staubsaugen. Its not me, it just happens. So wie Essgestörte aus Verzweiflung behaupten, dass sie einfach nicht zunehmen und dann diskret im WC verschwinden. Die Zwerge sind das passiv-aggressive Lächeln, mit dem Befehle als Fragen formuliert werden. Sie werden als Ausweis für eigenen Humor und Wärme angeschafft und landen im Garten als versehentlich draußen vergessene Familienaufstellung einer Dynastie von Hygienefanatikern.

Die Gärten sollen nicht mehr ernähren, sie sollen nicht erfreuen, sie sollen die Nachbarn beruhigen. Seht die nackte Erde unter der Hortensie, hier wohnt ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft. Schaut rein, denn es ist rein. Was für eine Degradierung, was für eine Amputation einer Weltanschauung. Aus einer hochkomplexen Begegnung von Kultur und Natur wurde ein Ventil für Neurosen und sozialer Angst. Aus allem, was den Menschen ausmacht – seine Nahrung, seinen Ort, seine Selbstdekoration und Liebe – wurde Dreck, der kontrolliert werden muss. Wie will man diesen Zwanggärten etwas entgegen setzen? Wie will man das heilen? 

Schaut rein, denn es ist rein.

Der Zwang hörte bei den Blüten und Beeten nicht auf. Der Rasen musste eingefasst werden. Mit Steinen. Natursteine sind zu unregelmäßig und auch teuer, also Betonsteine, aber nicht in grau, nein in warmen Rottönen. Man ist ja kein wahnhafter Ordnungsnazi, also ist die Rasenkante natürlich geschwungen. Rasen, Beete, Hecke, alles hat seinen Platz, die geschwungene Linie bringt die Wärme und Menschlichkeit rein. Es gibt Werkbänke mit Halterungen für die Werkzeuge, bei denen für jedes Werkzeug die Umrisslinie vorgezeichnet ist. Der Hammer hängt in der Form für Hammer, die Schraubenzieher sind nach Größe sortiert. Jeder Griff sitzt, alles effizient. Garten soll genau so sein. Nur macht Effizienz nicht gemütlich. Rationalität macht keine lauschigen Ecken. 

Effizienz ist nicht gemütlich

Was bei der Aufteilung der Flächen im Garten anfängt, geht natürlich bei der Pflege weiter. Das mantraartige wöchentliche Rasenmähen bindet viel zu viel Energie. Mähroboter machen das von alleine und man hat endlich Zeit, sich um Dinge zu kümmern, die den Garten noch ordentlicher machen. Das System Garten ist jetzt endgültig zur Vitrine mit Staubwischvorrichtung geworden. Es gibt keine Zusammenhänge mehr, nur noch Einzelflächen und Einzelstücke, die möglichst pflegeleicht und möglichst unverändert so bestehen bleiben sollen. Alles, was diese Ordnung gefährdet, wird eingedämmt. Pflege ist kein Moment der Hingabe und Kultur sondern ein Aufwand zum Delegieren. Die Gartenvitrine ist unter Kontrolle. Der Rasen wird vom Rindenmulch durch Betonsteine getrennt. Der Mähroboter macht genau bis zum Stein, dann dreht er um. Die Rosen stehen alleine vor der Thujahecke. Sichtschutz und Blüten: check! Rest: egal. 

Zu diesem stillen und grellen Bild gehören unbedingt Balkonkästen aus Plastik in Holzoptik mit Wasserspeicher, von denen Geranien herunter hingen, die lächerlich üppig wirken und weder Nektar noch Pollen bereit halten. Das hält dann auch gleich die lästigen Insekten vom Fenster fort. Der Zwang hört nicht auf, er kennt keine Grenzen. Rosen werden täglich ausgeputzt, Rasenschnitt als Biomüll kilometerweit zum Kompostieren gefahren. Blaukorn ziert den Boden noch vor den ersten Schneeglöckchen, die man heldenhaft verwildern lässt. Verwildern! Das heißt, man lässt sie sich vermehren und nimmt sogar in Kauf, dass ihre Samen von Ameisen an Stellen getragen werden, die man vorher nicht bestimmen kann. Wild!

Man lässt den Schneeglöckchen ihre Wildheit. Der Zwang kommt hier durch eine andere Tür, diesmal mit der Aufschrift Sammelleidenschaft. Arten und Sorten der Schneeglöckchen werden munter gekreuzt, kleine Handspiegel werden angeschafft, um die Blüte im Hängen von unten sehen zu können. Diese Sorten sind zum Verwildern viel zu kostbar. Sie stehen in der Erde, aber in Töpfen mit Etikett. Sie sind nicht wild, sie sind Vitrineninventar, Porzellan. Zwiebeln von seltenen Sorten werden versteigert und für die Seele fährt man hin und wieder in alte Schlossparks und bewundert die endlosen Flächen von Geophyten, die als Bestand gar nicht mehr wild wirken, sondern einfach nur wie Pflanzen, die sich eine Weile der Kontrolle entzogen haben. 

Verwilderte Schneeglöckchen wirken nicht wild, sondern einfach nur frei

Es tut weh, von dem eigenen Zwang zu wissen und gleichzeitig nicht davon loszukommen. Alles muss reinlich, ordentlich und abwaschbar sein, aber man soll es nicht so sehen. Also kauft man Wassertanks aus Kunststoff, die aussehen wie ein Baumstamm oder eine Amphore. Die Tanks sind detailliert gestaltet mit Holzmaserung oder Steinoptik, wirken aber im Garten so natürlich wie ein Flamingo mit Hut. Alles, was eine Patina ansetzen könnte oder regelmäßige Pflege braucht, kommt nicht durch die kesseldruckimprägnierte Gartenpforte. Alles Schmiedeeiserne, das hin und wieder einen Anstrich braucht, wird jubelnd ersetzt durch Edelstahl, der heitere OP-Stimmung herbeiglänzt. Wer es sich leisten kann, wechselt auf Cortenstahl, da ist sogar die Patina komplett unter Kontrolle, also ein winziges bisschen Unordnung, aber nachbartauglich. 

Richtig hart wird es, wenn Holz im Garten verwendet wird. Holz ist verdächtig, es ist nie ganz gleichmäßig und es neigt zum Verrotten. Also wird dem Holz alles ausgetrieben, was es ausmacht, damit der Garten reinlich und ordentlich bleibt. Es wird gehobelt und imprägniert, es wird lasiert und gestrichen, damit das Holz auf keinen Fall mehr ein Teil der Natur ist, sondern ihr entrissen ein Teil der Vitrine wird. Ideal wäre Holz, das wie Plastik wäre, aber nicht ausbleicht. Jahrhunderte lang wurden Häuser aus Holz gebaut, das nicht behandelt wurde. Diese Häuser stehen noch heute, weil sie so gebaut sind, dass das Holz hält. Das Haus ist Teil eines Systems, nicht Teil in einem Haufen von Teilen. Und wenn doch mal was getauscht werden muss, kann man das Holz einfach in den Wald werfen, es hinterlässt keine Gifte im Boden. Das geht mit imprägniertem Holz nicht. Es ist Sondermüll und muss als solcher weggefahren und kontrolliert verbrannt werden. Die Asche kommt auf die Deponie. 

Alles unter Kontrolle, sogar der Kontrollzwang.

Unzählige Zeitschriften leben von der Diskrepanz, Natur zulassen zu wollen, es aber nicht zu können. Sie zeigen, wie man Tipis aus Weidenruten baut, die wieder ausschlagen und zu einem Zelt werden. Sie zeigen Flechtzäune aus Haselruten, die jedem Garten einen Hauch von Selbstversorger geben. Sie zeigen alte Holzkisten und Metallboxen, aus denen Hauswurze und Narzissen blühen. Die Bilder zeigen eine wüchsige Unkontrolliertheit, nach der sich viele sehnen, aber nicht aushalten. Der Baumarkt schließt diese Lücke mit Holzkisten, vorpatieniert, in Shabbyschick und Vintage-optik. Mit EAN-Code und Normmaß. Alles unter Kontrolle, sogar der Kontrollzwang. Ein Stück gepflegtes Chaos. 

Es ist nicht einfach, sich mal eben eine neue Haltung für den Garten zuzulegen. Die Eltern haben den Garten preußisch ordentlich gehalten und es muss doch irgendwie weiter gehen. Es ist nicht einfach, das innere Ideal des Gartens zu hinterfragen und zuzulassen, dass das vielleicht ein klein wenig übertrieben steril war. Es ist nicht einfach, sich ein neues, entspannteres Gartenbild anzueignen. Das wirkt sich auf jeden Handgriff aus. Jede Gartenroutine muss hochgehoben, gewogen und neu hingestellt werden. Wer macht das schon freiwillig, wenn es doch läuft? 

5 Gedanken zu „Der ordentliche Garten“

  1. Hallo Christian,
    du hast viel wahres geschrieben. Ich habe lange in Gartencentern gearbeitet und viel versucht, um den Menschen etwas von nicht so ordentlich u vermitteln. Ist nicht einfach und wird noch dauern, wenn es in Deutschland überhaupt möglich sein wird.

    Einen Fehler habe ich gefunden, den du vielleicht korrigieren könntest. Ein Schwein hat keine Kutteln, diese haben nur Wiederkäuer, einer der vielen Mägen sind Kutteln. Du könntest stattdessen die Füße und Ohren erwähnen, die man früher für die Sülze genommen hat.

    Viel Grüße von Clärchen(Bettina Verbeek)

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  2. Oh, selten hat mich ein Bericht so amüsiert und meine Meinung bestätigt. Die Filme von Wieland haben uns schon vor Jahren begeistert. Ja, in der Tat gibt es vieles, was in einem Garten störend wirkt – ich sage nur Garten Lounges neben dem Pavillon, der Buddha im fränkischen Bauerngarten, die riesigen weißen Beleuchtungskugeln…
    Einen schönen Abend
    Sabine

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  3. Der Text spricht uns aus der Seele. Alles sehr schwer umzusetzen in einem Garten verein. Wo noch preußisch gerade versiegelte Wege verlangt werden

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