Winterzeit heißt Katalogzeit. Wenn im Garten nicht mehr viel zu tun ist, haben die Staudengärtnereien alle Hände voll zu tun. Wurzelnackte Ware kann endlich risikolos verschickt werden, empfindliche Stauden sind eingezogen und merken den Umzug nicht mehr. Ich warte seit Monaten auf den Oktober und habe immer wieder auf eine kleine Zeile neben einem Foto auf einer Internetseite gestarrt: Lieferbar ab Oktober. Diese Zeile stand neben dem Foto einer Strauchpaeonie rockii, die es mir angetan hatte.
In England schlenderten wir durch die Gänge einer sehr gut sortierten Staudengärtnerei, als sich plötzlich eine Erscheinung ins Blickfeld strahlte, die mich sprachlos machte. Eine Strauchpfingstrose rockii stand in voller Blüte vor uns. Ein wunderschön gewachsenes Exemplar, brusthoch, jede der Blüten so groß wie ein kleiner Blumenkohl. Die Blüten sind sehr weiß, gefüllt und haben den typischen dunklen Basalfleck auf jedem Blütenblatt, als ob jemand etwas schwarzrote Tinte vertropft hätte. An den Rändern franst der Basalfleck minimal ins weinrote aus. Taucht man die Nase in diese weichen Blütenkissen, ist der Duft nicht zu schwer, aber kräftig – nicht zu blumig, aber intensiv und von einer süsslichen Frische, die man schwer beschreiben kann. Es kann nur scheitern, man muss es riechen.
Pfingstrosen wachsen langsam und lassen sich auch beim Keimen Zeit. Manchmal dauert es zwei Jahre, bis sich überhaupt etwas regt. Und dann vergehen weitere fünf bis sechs Jahre, bevor sich eine Blüte zeigt. Das erklärt den Preis an der jungen Rockii, die etwas weiter im Regal zum Kauf angeboten wird. Zum Gegenwert einer guten Jeans mit großen Buchstaben soll dieser schmale Ast mit drei Blattpaaren den Besitzer wechseln. Ich schleiche so oft an dem Beet mit dem Topf voll Gold entlang, bis ich Sorge habe, dass der Ladendetektiv auf mich aufmerksam wird. Ich verhalte mich wie ein Idiot. Ich kaufe nicht und fahre mit leeren Händen. Und bereue das schon wenige Stunden später.
Wieder in Deutschland habe ich Kontakt mit der Gärtnerei in England aufgenommen und nach der Rockii gefragt. Mein Zögern sollte hart bestraft werden. Die von mir so bewunderte Rockii ist der Zufallssämling aus dem Garten eines hochbetagten Ehepaares, die von dieser Pflanze immer wieder Nachkommen verkauft haben, und genau das jetzt aus Altersgründen nicht mehr tun. Die letzten Jungpflanzen sind verkauft und es ist aussichtslos, noch an weitere Pflanzen zu kommen. Die Tür ist zu, die Chance vertan.
Meine Ersatzdroge ist nun eine Rockii, die ich bei einer ähnlich guten Staudengärtnerei ausfindig machen konnte. Und genau diese Rockii wird erst ab Oktober geliefert und seit Monaten zähle ich die Tage rückwärts, bis endlich Oktober ist. Sie hat weiße Blüten, aubergineschwarzen Basalflecken und soll gut duften. Allerdings bekomme ich eine junge Pflanze, die vermutlich erst in zwei, drei Jahren eine erste Blüte versuchen wird. Ich werde mich zusammennehmen und sie nicht vergleichen. Und ich werde mit Sicherheit nicht noch einmal zögern, wenn sich mir eine ähnliche Gelegenheit anbietet.