Ein guter Designer muss wissen, wie ein Buchtabe funktioniert, um gute Seiten gestalten zu können. Ein guter Gärtner muss wissen, was eine Pflanze braucht, um einen guten Garten zu gestalten. Wer die richtige Pflanze am richtigen Ort sucht, landet schnell bei der leider noch ungekrönten britischen Königin der Pflanzen, bei Beth Chatto. Sie wurde weltbekannt durch einen Trockengarten, der dem Kiesbett eines verlandeten Flusses nachgebildet ist. Sie hat im trockenen Essex einen Garten geschaffen, der auch mit wenig Wasser durchgehend üppiges Grün zeigt. Das ist zwar meistens blaugrün, aber das kommt meinem Geschmack sehr entgegen.
Wir besuchen Beth Chatto im April, es ist auf der britischen Insel deutlich wärmer als auf dem Festland und der Garten ist schon gut besucht. Der Garten ist von weitem sichtbar durch einen riesigen Eucalyptus-Baum mit einer unwahrscheinlich glatten Rinde und eleganten blaugrünem Laub. Der Baum ist ausgewachsen und überragt mit seinen geschätzten 25 Metern fast alles in seiner Umgebung. Um seine Wurzeln herum hat Beth Chatto den berühmten Kiesgarten angelegt. Ich habe so viele Bilder von diesem Garten gesehen, dass er mir in Wirklichkeit erstaunlich klein erscheint. Dafür hat er es in sich. Der Kies ist Mulch und Wärmespeicher in einem, sodass hier viele wärmeliebenden Stauden wachsen.
Der Kiesgarten ist deshalb so wichtig, weil in trockenen Landstrichen sehr gerne exotische und vor allem tropische Pflanzen in den Garten kommen. Diese Pflanzen brauchen dann sehr viel Wasser. Das ließe sich einsparen, ohne auf einen üppigen Garten zu verzichten. Beth Chatto zeigt mit ihrem Garten, dass auch trockenverträgliche Pflanzen eine grandiose Atmosphäre schaffen können und einen Beitrag zum Gewässerschutz leisten.
Der Garten von Beth Chatto wird in der Mitte geteilt von einem kleinen Bachlauf, der zu drei kleinen Teichen aufgestaut ist. Hier ist Platz für alle Sumpfpflanzen, gestaffelt nach Lichtbedarf. Das Mammutblatt (Gunnera mannicata) steht hier unwahrscheinlich groß und kräftig am besten Standort. Zwischen den Teichen verbinden perfekt getrimmte Rasenwege die Gartenbereiche und bieten den Untergrund für die weißeste Birke, die ich jemals gesehen habe. Die mehrstämmige Birke hat fast keine Einschlüsse in ihrer Rinde und erscheint wie getüncht – ein aufregender Kontrast der weißen Stämme auf dem grünen Rasen. Auf den nur knapp 3000 qm Garten schließt sich an den Bereich der Teiche ein sonniger Bereich der Staudenbeete an, die sich in organischen Formen aus den Rasenflächen erheben. Ein wenig neidisch schaue ich auf die ausgepflanzten Exemplare vom Neuseeländer Flachs (Phormium) und Efeuaralie (Fatsia), die sich hier prächtig amüsieren. Die Staudenbeete gewinnen langsam an Höhe und leiten schließlich über zum Schattengarten, der von hohen Bäumen bestanden ist. Das Stück Waldboden ist dicht bestanden vom silber gefleckten Aronstab (Arum italicum pictum), die offenbar die Mutterpflanzen für die Exemplare auf dem Staudenmarkt sind. Ein grandioser Anblick, zusammen mit geflecktem Maiapfel (Podophyllum), Hosta und vielen Farnen entstehen auf nur wenigen Metern Weg echte Dschungelgefühle.
Derart angetriggert lauert wie zufällig der Staudengarten, um eventuell entstandene Kaufgelüste auffangen zu können. Die Verkaufsbeete sind gut gefüllt und üppig, es macht eine Freude, die jungen Pflanzen zu betrachten. Der Einkaufskorb bleibt leider nicht lange leer. Hinter einem abgehängten Verkaufsbereich für Schattenpflanzen duckt sich ein kleines Gewächshaus, das im Winter Platz für die frostempfindlichen Kübelpflanzen bietet. Jetzt ist es bald Zeit, die Kübelpflanzen auszuräumen und das Gewächshaus duftet nach Wachstum und neuen Trieben. An der Rückseite des Gewächshauses hat Beth Chatto ihre Sammlung von Dachwurzen (Sempervivum) in die Sonne gestellt. Mehr als 30 Sorten präsentieren sich in bester Pflege auf mehreren Etagen, ich fürchte, hier müssen sich viele zusammenreißen, um nicht doch heimlich einen kleinen Ableger mit dem Fingernagel abzutrennen und in der Jackentasche verschwinden zu lassen.
Ein hervorragendes Sandwich und einen mörderisch großen Kaffee später sehen wir den Eukalyptus im Rückspiegel und ich kann verstehen, warum Beth Chatto einen solchen Einfluss auf die britische Gartenszene hat. Auch wenn sie nicht mehr alles selbst macht, sie hat auch hochbetagt immer noch einen bestechenden Blick für Kompositionen. God safe the Queen!